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«Sound of Rebellion»: Warum der US-Jazz eine Musik des Widerstands ist
Aus Kultur-Aktualität vom 25.04.2024. Bild: Getty Images / Heritage Images
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Die Macht der Musik Widerstand im Jazz: Eine Musikgeschichte mit Tradition

Sklaverei, Lynchjustiz, Segregation: Ein Buch zeigt die politische Ästhetik von Jazz-Grössen wie Billie Holiday oder Charles Mingus.

«Die Bäume im Süden tragen seltsame Früchte (...) schwarze Körper bewegen sich sanft in der südlichen Brise» heisst es in «Strange Fruit». Diese Beschreibung aufgeknüpfter POC (People of Color) geht unter die Haut. Jedes Mal, wenn Billie Holiday den Song singt.

Kein Wunder wollte der rassistische Drogenfahnder Harry Anslinger nicht nur die drogensüchtige Jazz-Musikerin Billie Holiday zur Strecke bringen, sondern mit ihr auch gleich «Strange Fruit» auslöschen.

Eindringlich beklagt Billie Holiday im Song die Lynchjustiz. Als sie mit 44 Jahren stirbt, von der Drogenfahndung ans Spitalbett gekettet, lebt «Strange Fruit» allerdings weiter.

Besser als die Wehklage? Der Aufschrei!

Der Song «Strange Fruit» steht am Anfang einer ganzen Playlist von Stücken, die bis heute für den kraftvollsten Jazz steht: den Jazz des Widerstands.

Bei der Sängerin Abbey Lincoln wird aus dem Klagelaut ein Schrei. Gemeinsam mit ihrem damaligen Ehemann Max Roach spielt sie im Sommer 1960 das Album «We Insist!» ein.

Abbey Lincoln erzählt darauf die Geschichte der Afroamerikanerinnen und -amerikaner in den USA – von der Sklaverei bis in die Gegenwart. Im Stück «Triptych» kommt ein wahrer Wutschrei vor, der viele ziemlich verstört haben dürfte.

Jazz-Publizist Peter Kemper kennt das Album gut: «Ich behaupte, das ist immer noch eines der radikalsten Jazz-Stücke, das es gibt. Sozusagen die nackte Seele, die sich da Gehör verschafft.»

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Die Macht der Musik – der kraftvollste Jazz war immer Widerstand
aus Passage vom 26.04.2024. Bild: KEYSTONE / AP DON PETERSON / ITVS /CHARLES PETERSON
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Anschreien – oder Auslachen

Zu einer ähnlichen Zeit war ein aufbrausender, aber genialer Zeitgenosse unterwegs: der Bassist Charles Mingus. Mingus schrie nicht vor Wut – er gab seine Feinde der Lächerlichkeit preis.

In seiner Nummer «Fables of Faubus» lacht er den Gouverneur Orval E. Faubus aus: «Nenne mir einen, der total krank und lächerlich ist!», heisst es da. Und die Antwort folgt prompt: «Gouverneur Faubus!»

Der Text zielt auf den Skandal von Little Rock ab: Damals wollte Faubus, damaliger Gouverneur von Arkansas, neun afroamerikanische Kinder nicht in eine ehemals weisse Schule gehen lassen.

Schliesslich muss die Nationalgarde den widerspenstigen Gouverneur zur Raison bringen und die Schulkinder eskortieren. Obwohl die Sachlage klar ist und Faubus offensichtlich im Unrecht, erscheint das Stück zunächst nur als Instrumentalversion, ohne Text.

Die Geschichte von gestern in den Texten von heute

Das Buch von Peter Kemper, «Sound of Rebellion», erzählt die Geschichte der politischen Ästhetik des Jazz bis in die Gegenwart. Ein aktuelles Beispiel: Matana Roberts spielt Saxofon, ist nonbinär und setzt sich im Hier und Jetzt mit den Verwerfungen in der US-amerikanischen Geschichte seit der Sklaverei auseinander.

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Matana Roberts: Mitreissende Performances mit Saxophon
aus Musikmagazin vom 27.04.2024. Bild: Foto: Anna Niedermeier
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Matana Roberts weiss, dass es keinen Grund zur Angst gibt, «den eigenen Vater auf dem Heimweg an einem Baum aufgeknüpft vorzufinden». Und trotzdem kommt Roberts die Gegenwart noch bedrohlicher vor: «Was bei uns passiert, ist diabolisch.» 

Buchhinweis

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Peter Kemper: «The Sound of Rebellion. Zur politischen Ästhetik des Jazz.». Ullstein, 2024.

Radio SRF 2 Kultur, Passage, 26.4.2024, 20:00 Uhr.

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